„Das ist doof, dass man da nur Druckschrift schreiben kann!“ – Praxisgeschichten
Es gibt sie, diese Tage, an denen alle Kinder mit sich zufrieden spielen. Die Tage, an denen wenig los ist und an denen die Kinder keine Erzieher brauchen, sondern einfach glücklich im Spiel sind. Solche Tage, an denen vielleicht auch nur ein Drittel der Kinder in der Gruppe ist. Heute war einer dieser Tage. Und statt herumzusitzen und Däumchen zu drehen wollte ich die Zeit nutzen um eine E-Mail an alle Eltern zu schreiben, die bitte noch an das Ferienprogramm denken sollen, dass am Montag abgegeben werden soll. Das Notebook stelle ich auf den Tisch im Gruppenraum, fahre es hoch, logge mich ein und beginne zu tippen. Schnell habe ich zwei Beobachter an meiner Seite. „Boah, wie schnell kannst du denn schreiben?“ fragt es da neben mir. Der Kommentar kommt von einem meiner Zweitklässler. „Wie hast du das gelernt.“ kommt von meiner Viertklässlerin. Ich drehe, noch immer tippend den Kopf zu ihnen, lächle und zucke mit den Schultern. „Das habe ich gelernt, einfach weil ich viel schreiben musste.“ Es wird registriert, dass ich noch immer tippe, und das sogar mit recht wenig Fehlern, obwohl ich nicht einmal zum Bildschirm sehe, sondern mit ihnen rede. „Kannst du etwa auch schreiben, wenn du nicht hinsiehst? Zeig’s nochmal.“ Ich verweise auf den berühmten Vorführeffekt und ernte verstehendes Nicken. Die beiden beobachten was ich schreibe, lesen mit, fragen mich. Dann kommt es vom Herren ganz empört. „Das ist doch doof, dass man da nur Druckschrift schreiben kann. In der Schule lernen wir Schreibschrift. Warum kann man das nicht auch am Computer schreiben?“ Das ist der Moment in dem ich die Mail absende. Eine gute Frage. Warum kann man das eigentlich nicht. Oder kann man es doch?
Ich öffne Word und lasse die Kinder ein Wort schreiben. Dann ändere ich die Schriftart und schreibe das gleiche Wort einige Male selbst. Die Schrift ist zu klein, sie kann schlecht gelesen werden. Also ändere ich die Schriftgröße auf 20. Dann schreibe ich das Wort immer mit einer anderen Schrift. Staunen. „Die sieht fast wie Schreibschrift aus! Gibt es da noch mehr?“ Ich nicke und mache den beiden Platz. Zeit es selbst auszuprobieren. Ich schließe ihnen eine Maus an und zeige ihnen wo die Schriftart verändert werden kann. Dann lasse ich sie einfach mit Worten und Schriften experimentieren. Sie überlegen was sie schreiben könnten. Einfach nur Wörter? Oder einen Brief vielleicht? Dann kommt die Idee: Eine Menükarte für den Viertklässlerabschied am heutigen Abend. Ein Titel wird überlegt und verschiedene Schriftarten betrachtet. Dann wird geschrieben. Ich setzte mich dazu und beobachte sie einfach in ihrem Tun. Dann fällt ihnen die rote Unterstrichelung auf. Was war das nochmal? Ach ja, da ist was falsch geschrieben. Also wurde korrigiert. Nur wie schreibt man eigentlich Mozarela richtig? Gibt es eine Möglichkeit das herauszufinden? Im Internet recherchieren? Ich verrate einen Trick. Einfach mal einen Rechtsklick auf das Wort machen, dann bekommt man Vorschläge für die richtige Schreibweise. Aber manche Wörter standen richtig da, wurden aber dennoch falsch markiert. Auch der Rechtsklick zeigte nichts anderes. Das Rätseln ging los. Plötzlich eine Idee. „Die Schrift schreibt alles groß.“ Tatsächlich, alles war in Großbuchstaben geschrieben. „Aber die Wörter gehören ja klein und nur am Anfang groß.“ Klickt man das Wort in der Rechtschreibkorrektur an verschwindet der rote Markierungsstrich. Nur warum? „Weiß das Programm vielleicht nicht, dass die Schrift alles groß schreibt?“ biete ich als Hilfe an. Nickende Köpfe. „Und wir schreiben deshalb nicht groß, obwohl die Wörter groß geschrieben werden.“ Das war also des Rätsels Lösung.
Nun sollte ausgedruckt werden. Vom Zweitklässler kam die passende Frage: „Und wie kommt der Zettel jetzt zum Drucker? Schickst du es hin?“ Ich schüttele den Kopf. Das ist bei uns leider gerade nicht möglich. Ob er denn andere Ideen hat? „Du könntest es auf was Speichern, damit zum anderen Computer gehen, anschließen und dann drucken.“ Ja, die Idee war mir auch gekommen. Also wird das Dokument auf einem USB-Stick gespeichert. Wir marschieren ins Büro. Aber der Leitungsrechner ist aus und ohne Erlaubnis dürfen wir ihn nicht an machen. Und nun? Tatsächlich entdecken wir einen USB-Anschluss für Datenträger am Drucker. Wir stöpseln den USB-Stick an, die Daten werden geladen. Aber die Menükarte nicht angezeigt. Nur PDFs. Falsches Format. Der Drucker kann direkt wohl nur PDFs lesen. Ein Problem dass sich schnell beheben ließ. Und dann klappte auch das Drucken.
Was bedeutet dies für die medienpädagogische Arbeit mit Kindern?
Dieses kleine Praxisbeispiel zeigt sehr gut wie ein forschender Ansatz auch in der Medienpädagogik umgesetzt werden kann. Der Impuls durch den arbeitenden Erzieher löste eine Reihe von Fragen aus, denen selbsttätig nachgegangen werden konnte. In dieser kurzen Sequenz konnten die Kinder vielfältige Lernerfahrungen sammeln. Betrachten wir es nach Dieter Baackes Medienkompetenzmodel haben sie mehrere Bausteine ihrer Medienkompetenz erweitert. Sie haben sich Mediengestalterisch betätigt, indem sie die Menükarte in Word geschrieben haben und dabei mit Schriftgrößen und Schriftarten experimentierten. Ganz nebenbei haben sie so nicht nur ihre Literacy gefördert, sondern auch ihre Medienkunde. Sie haben ihr Bedienwissen der Funktionen von Word um Schriftart, Schriftgröße und die Rechtschreibprüfung erweitert. Außerdem haben sie das Tippen am Computer geübt. Die Aufgabe des Druckens, die Auswahl der Speichermedien und Formate wiederum hat ebenfalls etwas mit Medienkunde zu tun. Zu verstehen, warum das Rechtschreibprogramm Fehler anzeigte, und eine Lösung zu finden (Das Programm weiß nicht wie die Schrift aussieht) lässt die Kinder ein tieferes Verständnis von Programmen erhalten und kann später zu einem besseren Problemlöseverhalten im Umgang mit Programmen führen. Und das Beste von allem ist wohl, dass all diese Lernchancen nicht in einem aufwendigen Projekt gesteckt haben, sondern sich einfach aus dem Alltag heraus ergeben haben.